Winterzeit – Märchenzeit. Wenn die Tage kürzer werden und die Temperaturen sinken, ist der richtige Zeitpunkt für gemütliche Lesestunden mit den Kindern gekommen. Dafür eignen sich besonders Märchenbücher sehr gut. Im Esslinger Verlag ist nun Ende 2016 eine Anthologie mit dem Titel „Andersens Wintermärchen“ erschienen, die vier Märchen von Hans Christian Andersen vereint. Die Ausgabe ist in vielerlei Hinsicht gelungen und eignet sich bestens als Weihnachtsgeschenk.
Hans Christian Andersen
Der Däne Hans Christian Andersen lebte von 1805 bis 1875 und war bereits zu Lebzeiten ein anerkannter Dichter. Die Grundlage für seine Kunstmärchen bildeten Volksmärchen wie die aus der Sammlung der Gebrüder Grimm. Andersen hat seine Märchen für Erwachsene und Kinder gleichermaßen geschrieben. Im Gegensatz zu den Volksmärchen nehmen sie oft ein tragisches Ende. Hier findest du ausführliche Informationen über Kunstmärchen.
Andersens Wintermärchen
Die Anthologie enthält „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, „Der Tannenbaum“, „Der Engel“ und „Die Schneekönigin“. Warum werden ausgerechnet diese vier als Wintermärchen aufgeführt? Die Antwort liegt auf der Hand. Sowohl „Die Schneekönigin“ als auch „Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ spielen im Winter und die Handlungen sind unmittelbar an den damit verbundenen Schnee und die eisigen Temperaturen geknüpft. Im Märchen „Der Tannenbaum“ bildet der Heiligabend den Höhe- und gleichzeitig Wendepunkt. Da der Winter als Jahreszeit in engem Zusammenhang mit dem Tod und Sterben steht, fügt sich „Der Engel“ ebenfalls gut ein.
Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen
An einem Silvesterabend läuft ein dürftig bekleidetes Kind durch die verschneiten Straßen und versucht Zündhölzer an wohlhabende Leute zu verkaufen. Da ihm dies nicht gelingt, getraut es sich an diesem Abend nicht nach Hause. Obwohl es das nicht darf, kann es der Kälte nicht widerstehen und zündet sich ein Streichholz an, um sich zu wärmen. Im Schein des Lichtes sieht und fühlt es einen wärmenden Ofen. Als das Streichholz erlischt, ist der Zauber vorbei. Mit jeder weiteren Streichholzflamme werden die Träume schöner und reeller. Schließlich erscheint die verstorbene Großmutter. Das Kind spürt eine unbekannte Leichtigkeit und Wärme. Glücklich geht sie mit ihr.
Das tragische Ende des Mädchens ist bedrückend, aber keinesfalls grausam dargestellt. Sprache und Bilder sind sensibel gewählt und drängen sich nicht unangenehm auf. Unverkennbar ist die Kritik an den herzlosen Reichen, die das bettelnde Kind anfangs abweisen und am Ende bestürzt über dessen Tod sind. Die Kinder der wohlhabenden Familie halten ihre Weihnachtsgeschenke in den Händen und sind kurz nach dem Fest der Liebe nicht bereit, ihren Reichtum mit anderen zu teilen.
Der Tannenbaum
Die Handlung dieses Kunstmärchens besteht aus drei Teilen. Im ersten wächst ein Tannenbaum im Wald heran. Voll Sehnsucht lauscht er den Geschichten über die Pracht der Weihnachtsbäume in den Stuben der Menschen und wird immer unzufriedener mit dem, was ihn umgibt. Im zweiten Teil wird er geschlagen und mit einem Pferdewagen aus dem Wald gefahren. Sein Traum wird Wirklichkeit, er steht zur Weihnachtszeit reich geschmückt in einem bürgerlichen Hause. Während es für ihn immer so bleiben könnte, wird er nach dem Fest auf den Dachboden gebracht. Im dritten und letzten Teil bereut er allmählich seine ehemaligen Wünsche und realisiert, wie gut es ihm im Wald ging.
Während der Baum ahnungslos und eitel seinem unausweichlichen Schicksal entgegen tritt, weiß der Leser sehr genau, was folgen wird. Erst ganz zum Schluss, als es unausweichlich ist, begreift auch der Baum, seinen Irrtum. Sein Leben lang ist er einer Wunschvorstellung gefolgt, statt sich an dem zu erfreuen, was er hat.
Der Engel
Ein Engel fliegt auf die Erde, um ein soeben gestorbenes Kind zu holen. Dabei pflückt er Blumen, die im Reich Gottes schöner als je zuvor blühen. Und während er mit dem Kind über die Heimat fliegt, sieht er eine vertrocknete Blume und erzählt dem Kind die Geschichte von ihr und einem kranken Jungen, dem diese Blume gehörte. Die Blume war ihm sehr wichtig und er goss sie jeden Tag. Woher der Engel das weiß? Er selbst war der Junge.
Diese Erzählung zeigt den Tod und das Sterben als etwas Schönes, vor dem sich niemand fürchten muss. Die Vorstellung von der Heimkehr in Gottes Reich ist mit dem christlichen Glauben untrennbar verbunden. Sprache und Bilder lassen dennoch ausreichend Raum, damit eigene Bilder entstehen können.
Die Schneekönigin
Dieses Märchen ist wohl das bekannteste von Hans Christian Andersen und wurde vielfach verfilmt sowie für Theater, Musical und Oper inszeniert. Auch im Bereich der Kinderbücher sind zahlreiche Adaptionen vorhanden.
Kay bekommt einen Splitter vom Spiegel des Teufels ins Herz, so dass dieses zu Eis gefriert, und einen ins Auge, wodurch er nichts Schönes mehr sehen kann. Später entführt ihn die Schneekönigin in ihr Reich. Seine Nachbarfreundin Greta begibt sich auf die Suche nach ihm. Nach einer langen Reise gelangt sie ins Reich der Schneekönigin, wo sie ihren Freund völlig verändert vorfindet. Ihre Tränen schmelzen jedoch das Eis und Kay erkennt sie wieder und kann mit ihr nach Hause gehen.
Arnica Esterl
Die Märchen von Hans Christian Andersen wurden in dieser Ausgabe von Arnica Esterl bearbeitet. Sie ist Mitglied der Europäischen Märchengesellschaft und Mitbegründerin des Stuttgarter Märchenkreises. Ihre Nacherzählung ist ausgesprochen gut gelungen, so dass die schweren Themen Tod und Sterben nicht überfordern und sich für Kinder eignen. Natürlich stimmen sie nachdenklich und das tragisches Geschehen bedrückt. Dennoch schwingen viele positive Gedanken mit.
Unverkennbar ist der Glaube an Gott, der in jedem Märchen angesprochen wird. Dieser wird niemandem aufgezwungen und ist so selbstverständlich und gleichzeitig dezent enthalten, dass ich dieses Buch auch Nichtchristen empfehlen kann.
Illustratorin Anastasija Archipowa
Die Aquarelle sind in gedämpften Farben gehalten und zeigen Teile der Handlung, deuten diese mitunter nur an. Damit fügen sich Text und Bild sehr wohltuend zusammen und ergeben ein stimmiges Gesamtbild. Der Kleidungsstil und die Wohnungseinrichtung entführen uns in die Entstehungszeit der Märchen Andersens. Diese nostalgische Stimmung schafft ebenfalls einen wohltuenden Abstand zwischen uns als Leser und dem Leid der handelnden Figuren.
Einziger Kritikpunkt des Buches ist, dass Bild und Text nicht immer optimal gesetzt sind und so teils zu viele Bilder aufeinander folgen oder erst auf der nächsten Seite sind und damit nicht mehr zum dortigen Text passen.
Fazit
Damit ist diese Märchenausgabe sehr gelungen und eignet sich dank der anspruchsvollen Aufmachung (Lesebändchen, Leinenrücken, hochwertige und großflächige Illustrationen, kräftige Seiten) als Geschenk.
Andersens Wintermärchen
Autor: Hans Christian Andersen, bearbeitet von Arnica Esterl
Illustratorin: Anastasija Archipowa
Verlag: Esslinger
Erscheinungsdatum: 19. August 2016
Ausgabe: gebunden, 88 Seiten, 16,99 €
ISBN: 978-3480232918
Eine großartige Vorstellung.
Diese Ausgabe muss ich unbedingt haben, vor allem wenn die Illustrationen in Aquarell dargestellt sind.
Das schafft bestimmt noch eine zusätzliche winterliche und märchenhafte Atmosphäre!
Liebe Grüße
Ela
Liebe Ela,
Ja, es ist wirklich eine besondere Ausgabe. Aber du musst dich auf melancholisch-traurige Märchen einstellen. Dennoch sind sie sehr schön. Meine Kinder wollten unbedingt weiter vorgelesen bekommen.
Viele Grüße,
Anna
Ahoi!
Ich bin ja bekennender Märchenfan, und Andersen hat zwei meiner Lieblingsmärchen geschrieben. Allerdings muss ich beim Mädchen mit den Schwefelhölzern immer spätestens beim zweiten Abschnitt anfangen zu weinen. Ich kann nicht mal davon erzählen, ohne das mir die Tränen kommen, weil es so herzzerreißend ist.
Eine Frage habe ich noch: Wurden die Märchen hier übersetzt oder nacherzählt? Ich finde die Aufmachung sehr ansprechend und bin am überlegen, mir auch diese Ausgabe zuzulegen (nicht dass ich schon genügen Märchenbücher hätte…). Allerdings finde ich, dass nacherzählte Märchen ganz oft den ursprünglichen Charme verlieren 🙁
Liebe Grüße
Mareike
Hallo Mareike,
Wortwörtlich steht „Bearbeitet von Arnica Esterl“ und Esslinger wirbt damit, dass sie „in einfühlsamer Weise“ und „mit großem Respekt vor dem Originaltext kindgerecht nacherzählt“ sind. Die Texte sind für Kinder verständlich, also in einer verhältnismäßig modernen Sprache verfasst, ohne dass sie trivial wären. Ich finde sie und das Buch als Gesamtwerk ehrlich sehr gut. Es hat bei meinen Kindern eine andächtige Stimmung erzeugt und ist aus meiner Sicht auch für erwachsene Märchenliebhaber geeignet.
Liebe Grüße,
Anna