Ein Bilderbuch erzählt Geschichten in Bildern und damit in einer Sprache, die alle verstehen. Egal ob der Illustrator aus England, Spanien oder Syrien kommt, ein deutsches Kind kann seine Bildsprache verstehen. Ich frage mich, warum die meisten Bilderbücher einen zusätzlichen Text haben. Vielleicht damit der Erwachsene sich nicht langweilt, während das Kind die Bilder bestaunt? Textlose Bilderbücher sind – abgesehen von Wimmelbildern – ein (noch) seltenes Phänomen. Eigentlich schade, wenn man bedenkt, welch herausragendes Potenzial sie bieten. Ich möchte euch deswegen einige von ihnen vorstellen und aufzeigen, warum sie so wichtig für Kinder sind.
Bilderbücher ohne Text – ihr Potential
Bilder lesen will gelernt sein
In traditionellen Vorlesebüchern geben die Illustrationen selten zusätzliche Informationen und veranschaulichen somit lediglich das, was bereits in Worten erzählt wird. Das ist bei einem Erstlesebuch sinnvoll, nicht aber bei Bilderbüchern. Das Kind hat keine Möglichkeit, seine eigene Vorstellungskraft zu schulen, da die Bilder ihm das abnehmen und sich Bild und Text wechselseitig erklären. Ein textloses Bilderbuch (auch silent book) ist aktivierend und mitunter zeigt sich, dass nicht jedes Kind Bilder lesen kann. Auch Bildlesefähigkeit ist etwas, das erst erworben werden muss. Und womit kann das besser gelingen, als mit einem Buch, das ohnehin keinen Text hat?!
Textlose Bilderbücher ohne Eltern lesen
Mit Bildern ist es möglich, komplexe Geschichten zu erzählen. Beim Vorlesen ist ein Kind davon abhängig, dass sich jemand Zeit nimmt. Wenn es selbst lesen lernt, ist es vorerst auf einfache Texte, die es bewältigen kann, beschränkt. Ein Bilderbuch muss nicht trivial sein. Kinder können sich komplexe Erzählungen allein erschließen.
Textlose Bilderbücher als Gesprächsanlass
Viel schöner liest es sich natürlich gemeinsam. Zu Hause mit den Eltern, in der Gruppe im Kindergarten, im Unterricht in der Schule. Bilderbücher ohne Worte fordern dazu auf, die eigene Interpretation anderen mitzuteilen und sich darüber auszutauschen. So entsteht Kontakt mit anderen, offenbaren sich verschiedene Sichtweisen und wird letztlich auch Fremdverstehen gefördert. Lesen wird auf diesem Weg zu sozialem Handeln.
Textlose Bilderbücher in mehrsprachigen Gruppen
Dabei spielen die Muttersprache und Nationalitäten keine Rolle. Egal welche Sprache ein Kind spricht, die Bildsprache kann es sich erschließen – leichter als Deutsch oder Englisch oder Russisch. Die Bildsprache ist universell und ein Bilderbuch ohne Text kann in mehrsprachigen Gruppen Verbindungen schaffen.
Ausgewählte Bilderbücher ohne Text
Was war hier bloß los? von Gerda Muller
„Geh den Spuren nach!“ In diesem Bilderbuch für Detektive, folgen die Kinder geheimnisvollen Spuren über die Doppelseiten hinweg und rätseln dabei über das Geschehene. Von wem die Spuren sind, offenbart sich erst auf der letzten Seite.
Die Tintenspinner von Anne-Caroline Pandolfo
Zwei Figuren, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, treffen aufeinander – eine Krake und eine Spinne. Skeptisch beäugen sie einander und bald will jede der anderen zeigen, was sie kann. Ein Wettstreit entsteht und führt bei beiden zu immer neuen Hochleistungen. Bis das anfängliche Misstrauen nachlässt und an deren Stelle Neugier tritt. Ein minimalistisches Bilderbuch über Vielfalt und Toleranz. Mehr dazu hier: Die Tintenspinner
Ein Baum geht durch das Jahr von Iela Mari
Beginnend im Winter, wenn der Siebenschläfer in seiner Höhle schläft, erleben wir hier die Veränderung eines Baumes im Laufe des Jahres. So sind die Jahreszeiten für Kindergartenkinder verständlich erklärt – auch ohne Worte.
Überall Blumen von JonArno Lawsen und Sydney Smith
Ein kleines Mädchen mit roten Mantel läuft mit seinem Vater durch die Straßen. Alles wirkt trostlos und grau, der Vater hat es eilig. Doch halt, zwischen Ritzen im Beton und Pflastersteinen bahnen sich Blumen ihren Weg. Das Mädchen pflückt und verschenkt sie. Allmählich verändern sich die Bilder, nehmen zunehmend Farbe an und spiegeln die Herzlichkeit und wärmende Liebe des Kindes wider.
Der König der Meere von Imapla
Ein kleiner Fisch glaubt, ER sei der König der Meere. Ein größerer schwimmt herbei, verschlingt ihn und hält sich nun für den König, verliert aber kurz darauf ebenfalls die Königskrone an den nächstgrößeren Fisch. Mit diesem Buch ist politische Bildung bereits mit ganz kleinen Lesern möglich. Das Recht des Stärkeren wird in Frage gestellt, gemeinsam können auch Kleine viel bewirken.
Rotkäppchen von Adolfo Serra
Ein Märchenbuch mit durchaus ungewöhnlichen Bildern und Perspektiven, das das bekannte Märchen neu erzählt und für Irritationen sorgt. Damit bietet es reichlich Gesprächsanlass.
Damit ist längst nicht alles gesagt und besonders die konkrete Verwendung in Kindergarten und Grundschule ist interessant. Vielleicht folgt diesem ein weiterer Artikel, wir werden sehen.
Doch zunächst seid ihr dran. Wer kennt weitere Bilderbücher ohne Text, die nicht unerwähnt bleiben dürfen? Ich freue mich auf eure Kommentare!
Ich mag Bilderbücher ohne Text. Und ich finde es ganz spannend zuzuschauen wie verschiedene Erwachsene mit unserer Kleinen die ihr schon bekannten Bücher entdecken.
Leider scheuen sich einige Erwachsene davor ein Bilderbuch ohne Text „vorzulesen“.
Für meine Schüler ist so ein Buch immer motivierend und holt jeden auf seinem Können-Stand ab.
Mein absoluter Favorit
„Der rote Regenschirm“
Sehr schöne Vorstellung! Ab jetzt folge ich dir regelmäßig. hihi
Du hast einige Themen, die mir für meine Kinder gefallen. Vielen Dank und viele Grüße,
vom monerl
Das freut mich. Gerne kannst du mir auch Wünsche zu bestimmten Themen oder Büchern schreiben. Ich werde nicht alles und sofort umsetzen können, aber da ich grob schon bis Frühjahr nächsten Jahres plane, kann ich auf einiges langfristig eingehen.
Liebe Grüße, Anna
Meine beiden Jungs waren und sind Fans von „Gute Nacht, Gorilla“.
Ansonsten sind die Wimmelbücher Susanne Rotraut Berner sehr beliebt, in denen es viele kleine Geschichten zu entdecken gibt.
„Die Torte ist weg“ fällt mir noch ein…
Übrigens eignen sich Bilderbücher ohne Worte auch für jahrgangsstufenübergreifende Projekte. So weiß ich von Kolleginnen, die in der Kooperation Grundschule-Mittelschule Lapbooks mit Bilderbüchern ohne Worte gemacht haben. Bilderbücher mit Worten wären für die Großen „zu kindisch“ gewesen…
Ja, „Die Torte ist weg“ kenne ich nicht, habe aber gesehen, dass es davon sogar mehrere Bände gibt. Dein Hinweis auf den jahrgangsübergreifenden Unterricht ist ebenfalls ein wichtiger Ansatz. Gerade bei modernen und damit meist anspruchsvollen Illustrationen kann jedes Kind entsprechend seines Vermögens relevante Aspekte herausfiltern. Forschungen zur Bildrezeption im Kindergartenalter haben ergeben, dass Kinder genau das tun und die oftmals befürchtete Überforderung mit komplexen Bildern gar nicht eintritt. Danke, Birgit.
Bilderbücher üben auf mich immer noch eine Faszination aus. Eine sehr schöne Vorstellung die du hier hast. Besonders das mit den Blumen finde ich ganz toll. Geschichten ohne Text und daraus was machen fand ich zu Schulzeiten immer spannend.
Ich muss auf dem nächsten Flohmarkt mal die Augen offen halten, da könnte so mancher Schatz liegen.
Wünsche dir eine schöne Lesezeit
Liebe Grüße
Kasin
Ich finde das Konzept auch klasse, neben den Wimmelbüchern habe wir noch ein Bilderbuch „Die 3 kleinen Schweinchen“ das bei dem Logik-Spiel von Smart Games dabei war.
Liebe Grüße
Ella
Die drei kleinen Schweinchen bieten sich dafür gut an, die Geschichte kann die Kleinen immer wieder begeistern. Hier muss man allerdings schauen, wie die Illustrationen gestaltet sind. Nicht jedes Buch finde ich gelungen.
Über die Wimmelbücher werde ich sicherlich auch noch schreiben. Ich kenne Kinder, die aufgrund der detailreichen Bilder wochenlang mit ein und demselben Buch beschäftigt waren und immer wieder Neues entdeckt haben.
Diese Ansätze finde ich klasse! Diese Bücher sind bestimmt sehr schön für Kinder. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende. lg Nadine von NannisWelt
Danke!